- Sonne im Mittelpunkt: Umwälzungen des Weltbildes
- Sonne im Mittelpunkt: Umwälzungen des WeltbildesNach christlichen Vorstellungen galten dem Mittelalter und der frühen Neuzeit die menschlichen Erkenntnisweisen durch das Erkennen Gottes aus seiner Schöpfung und seinem Schöpfungsplan heraus als zweckgebunden, wobei die natürliche Theologie sogar dem »Buch der Natur« gegenüber der Bibel als dem »Buch der Offenbarung« höheren Quellenwert einräumte. Physik und Astronomie blieben im Zuge der Begegnung von. Christentum und Aristotelismus vorerst die gleichen. Die Welt erhielt aber als Schöpfung wieder einen Anfang und ein Ende, und die Anpassungen an Aussagen der Bibel erforderten Ergänzungen.Christlich umgedeuteter Neuplatonismus und Stoizismus gaben dann in der Renaissance die Impulse für eine neue Einheit der Schöpfung, in der plotinische, stoische, gnostische, islamische, jüdisch-kabbalistische und hermetische Elemente auf christlicher Basis mit platonischem und aristotelischem sowie hippokratisch-galenischem Gedankengut verschmolzen. Durch eine Fülle von Analogien und Korrelationen zwischen Makro- und Mikrokosmos erhielt der Gesamtkosmos so eine noch überschaubare, auf Gottes Vorsehung zurückgeführte pantheistisch-monistische Einheit, in der alle beseelten Teilwesen und Teile im Sinne einer Gesamtzweckmäßigkeit der Schöpfung aufeinander bezogen waren.Die Kosmographen wollten nicht mehr ein Bild der Ökumene, sondern der gesamten Erde gewinnen, und so wollte auch Nikolaus Kopernikus das Plantensystem (statt des Bewegungsapparats eines einzelnen Planeten) in allen seinen Details und Proportionen wieder aufeinander beziehen, um endlich die »wahre Gestalt und die genaue Symmetrie der Teile« des Kosmos zu erkennen, wie er es in seiner Denkschrift »Commentariolus« (1514) formulierte. Dazu musste er ganz im Sinne des Renaissanceweltbildes die alte Diskrepanz zwischen mathematischer Astronomie einerseits und der Himmelsphysik konzentrischer Sphären andererseits durch eine die Astronomie wieder vereinheitlichende Rephysikalisierung, durch Rückführung auf die »wahren Prinzipien«, aufheben. Seine Lösung dieses Problems führte schließlich mit den mathematischen Elementen der damaligen Astronomie fast zwangsläufig zu einem Vertauschen der Örter und Bewegungszustände von ehemals ruhender Erde und bewegter Sonne. In dieser heliozentrischen Welt standen alle erscheinenden Bewegungen am Himmel in einer Beziehung zueinander und bildeten alle bewegten Körper deshalb erstmals ein physikalisch-harmonisches »System«, in dem viele Bewegungserscheinungen als scheinbare Effekte des mit der Erde bewegten Beobachters gedeutet werden. Konsequenzen waren eine Mehrfachbewegung der Erde, ruhende Sonne und Fixsternsphäre, bestimmbare Entfernungen aller Planeten, aber auch eine unermessliche Entfernung zu den Fixsternen, deren sphärische Begrenzung bald aufgegeben wurde.Die systematische Vereinfachung und die daraus resultierende »Harmonie« und »Symmetrie« begeisterten die Astronomen der Folgezeit. Das gilt sogar für jene, die die neue Ökonomie als eine bloße mathematische Hypothese ohne Einfluss auf das Bild der realen Welt betrachteten und benutzten. (Hierauf hatten sich auch die Wittenberger Reformatoren festgelegt, womit sie eine entsprechende Rezeption im protestantischen Bereich einleiteten.) Es gilt für jene, die zwar diese Systematik, nicht aber die mehrfache Bewegung der Erde und die immense Ausdehnung des Universums übernehmen wollten und deshalb Erde und Sonne (jetzt als bewegtes Zentrum der Planetenbahnen) wieder rücktauschten - ein Vorschlag des dänischen Astronomen Tycho Brahe, den ab 1610 insbesondere die jesuitischen Mathematiker übernahmen und damit für den katholischen Bereich kanonisierten. Es gilt natürlich in erster Linie für die von der Wirklichkeit der heliozentrischen Ökonomie und Systematik überzeugten Astronomen, allen voran Johannes Kepler und Galileo Galilei, die deshalb nach »Beweisen« für das heliozentrische System suchten - ersterer im theoretisch-mathematischen, letzterer im empirischen Bereich, nachdem er erstmals ein Teleskop auf Himmelsobjekte gerichtet und dabei die rauhe Oberflächenstruktur des Mondes, die Phasen von Venus und Merkur sowie (unabhängig und gleichzeitig mit anderen) die Sonnenflecken und Jupitermonde entdeckt hatte, die alle der dualistischen aristotelischen Physik widersprachen, sich allerdings auch im Tychonischen System ergäben und deshalb als »Beweise« für eine bewegte Erde nicht stichhaltig waren.Kepler erkannte die kinematische Gleichwertigkeit aller drei Systeme, suchte deshalb in dem ontologisch übergeordneten, auch Gott vorgegebenen Bereich ausgezeichneter Quantitäten nach Gottes Schöpfungsplan, aus dem sich die empirischen Daten zwingend ergäben, und fand sein »Mysterium cosmographicum«, das auf der Ineinanderschachtelung der fünf platonischen Körper als Ursache für Anzahl und Bahngrößen der sechs heliozentrisch angeordneten Planeten (mit dem Mond als Erdbegleiter) beruht und die Bahngrößen mit verblüffender Genauigkeit ergibt. Die Suche nach der exakten Bahnform führte ihn schließlich zu den drei nach ihm benannten Gesetzen der Planetenbewegungen. Letzere hatte Kepler dem Zusammenwirken magnetischer Fernkräfte der Himmelskörper zugeschrieben, nachdem Tycho nachgewiesen hatte, dass die »Äthersphären« weder unveränderlich sind noch Körpern einen Widerstand entgegensetzen, sodass sie auch keine Körper wie die Planeten mitführen können. Kepler hatte aus den heliozentrischen Bewegungsdaten auf eine zentrale Bewegungskraft in der Sonne geschlossen und durch William Gilberts Magnetismustheorie (1600) von der Möglichkeit einer solchen Kraft eines Körpers erfahren, sich dann aber mit der analogen »magnetischen« Kraft (die als Sonnenkraft einen Planeten auf konzentrischen Kreisen um die Sonne herum führen sollte) zu weit von den beobachteten Wirkungen eines Magneten entfernt, als dass er Anhänger hätte finden können.Otto von Guericke sollte deshalb den Gilbert-Keplerschen Kugelmagneten durch eine mit anderen Mineralien durchsetzte (der stofflichen Zusammensetzung der Erde eher entsprechende) Schwefelkugel als Modell und Demonstrationsgerät für die »kosmischen Kräfte« ersetzen, die er durch Reiben erzeugte. Aber all diese Kräfte sollten selektiv nur zwischen »verwandten« Körpern wirken, da sich anderenfalls wieder wie in der aristotelischen Physik sämtliche Körper zu einem vereinigen müssten.Schon die durch Einfluss des Neuplatonismus wiedergewonnene Einheit der Welt gegenüber dem aristotelischen Dualismus von himmlischer und irdischer Welt hatte als Einheitlichkeit gleichartiger Individuen umgedeutet werden müssen. Nikolaus von Kues etwa hatte sich für eine einheitliche Welt und gegen eine Geozentrik ausgesprochen: Als notwendig materielle Schöpfung könne der beste Kosmos im Gegensatz zum idealen Schöpfer selbst keine ideale Kugel sein, könne sich die Erde also nicht ruhend genau im Zentrum befinden. Sie befinde sich vielmehr außerhalb des Weltzentrums, sodass auch nicht das Weltzentrum, sondern das Erdzentrum das Ziel der Schwerebewegungen (auf der Erde) sei. Gleiches müsse auch für die anderen Weltkörper gelten, die sich schon immer außerhalb des Weltzentrums hatten befinden sollen (Mond, Sonne und Planeten); auch sie bestünden deshalb nicht aus dem einen himmlischen Äther, sondern aus jeweils für sie spezifischen Formen der vier Elemente. Daraus resultiert zwar noch kein heliozentrisches Weltbild. Aber es wurde eine neuartige Physik der Schwere erforderlich als Streben zum jeweiligen statt zu dem einen Schwerezentrum, sobald die Erde aus dem Zentrum des Universums herausgenommen wurde - oder die Erde bewegt wurde; sie galt ja in einer nicht-dualistischen Welt auch für die bewegten Planeten. Nikolaus Kopernikus musste deshalb eine gleiche Physik der bewegten Schwerezentren für seinen Kosmos mit um die Sonne bewegter Erde entwickeln; sämtliche Kopernikaner mussten ihm darin folgen und später, nach der Entdeckung der Erdartigkeit von Mond, Venus und Merkur, selbst die Geozentriker.Waren es ursprünglich jedoch noch wie bei Aristoteles die Teile, die zum Ganzen strebten, so entwickelte Kepler zumindest für die Schwere eine gegenseitige (magnetische) Anziehung, während Guericke die Vorstellung von Zentralkräften auf alle »Kräfte« der Weltkörper übertrug, ein Zusammenwirken aber durch jeweils begrenzte Wirksphären der selektiven Kräfte vermied. Der Begriff der Wirksphäre erhielt dann bei Isaac Newton eine weitere Modifizierung, insofern ihre sphärische Begrenztheit ihm nur für die Wahrnehmbarkeit der Wirkung galt. Eine Zentralkraft dehne sich vielmehr, mit dem Quadrat der Entfernung abnehmend, ins Unendliche aus. Diese Modifizierung begründete eine neue Physik, die aber nur aufgrund eines neuen Trägheitsprinzips ermöglicht wurde. Das Prinzip einer allgemeinen Gravitation stammt trotz aller gedanklichen Vorarbeit erst von Isaac Newton; und erst durch die Rückführung auf dieses Prinzip der allgemeinen Gravitation fanden die Keplerschen Gesetze und mit ihnen die Heliozentrik im Zuge der Anerkennung der Newtonschen Physik ebenfalls allgemeine Anerkennung.Prof. Dr. Fritz KrafftKoyré, Alexandre: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum. Aus dem Englischen. Neuausgabe Frankfurt am Main 1980.Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaften. Hamburg 1983.
Universal-Lexikon. 2012.